KOMMUNALE Newsroom
Innenstädte und deren Resilienz stärken!

Der Einzelhandel befindet sich – nicht zuletzt aufgrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie – in einem massiven Umbruch. Der demografische Wandel, ein immer stärker boomender Online-Handel, die Ausdünnung der Nahversorgung sowie neue Trends im Einkaufsverhalten bewirken eine Erosion des inhabergeführten und stationären Einzelhandels. Insbesondere durch den zeitlich wie regional grenzenlosen Online-Handel konkurriert jedes Einzelhandelsgeschäft in unseren Innenstädten mittlerweile mit der ganzen Welt. Folgen sind vielerorts steigende Leerstände und damit verbunden ein „Ausbluten“ unserer Innenstädte und Orts-kerne. Handelsexperten rechnen in Folge der Corona-Pandemie mit der Schließung von bis zu 50.000 Einzelhandelsstandorten.
Um einer Verödung der Innenstädte entgegenzuwirken, bedarf es daher schnell der Einrichtung „Runder Tische“ mit Vertretern der betroffenen Städte, der Unternehmen und den Immobilien-eigentümern. Es gilt, Zukunftsstrategien und Perspektiven zu entwickeln statt Schließungen zu verkünden. Ziel muss es sein, möglichst viele Einzelhandelsstandorte zu erhalten und möglichst viele Arbeitsplätze zu sichern.
Zur Stärkung des stationären Handels in unseren Innenstädten müssen dabei die Chancen der Digitalisierung noch stärker genutzt werden. Dies reicht von digitalen Produktinformationen des stationären Handels vor Ort bis hin zu mobilen Bezahlsystemen. Diese Ansätze müssen handelsseitig ausgebaut und im Kundeninteresse fortentwickelt werden. Die Immobilieneigentümer müssen zudem für faire Mieten sorgen und eine einseitige Gewinnmaximierung durch überzogene Mieten vermeiden. Wirtschaftlich stabile Mieter und genutzte statt leerstehende Handelsimmobilien sind auch im Interesse der Eigentümer.
Hinzukommen müssen eine gute Nutzungsmischung von Handel, Wohnen, Arbeiten und Freizeit in den Innenstädten. Auch ein attraktives Gastronomieangebot, Kulturveranstaltungen sowie das Abhalten von Märkten tragen zu einer attraktiven Innenstadt bei.
Online-Handel wächst weiter
Die aktuellen Zahlen des Handels belegen, dass der Online-Handel ein wesentlicher Wachstumstreiber der Handelsbranche bleiben wird. Zwar entfallen in Deutschland noch knapp 90 Prozent des Umsatzes auf den stationären Handel. Nichtsdestotrotz ist ein deutlicher Zuwachs beim Online-Handel, insbesondere im Bereich der Bekleidung/Mode, Bücher sowie der Unterhaltungs-elektronik festzustellen. Die Corona-Krise im Jahr 2020 dürfte diese Entwicklung nochmals deutlich befördern. Bei leicht rückläufiger Wachstumsrate stieg das Wachstum des Online-Handels bereits im vergangenen Jahr um knapp 5 Milliarden Euro auf 58,5 Milliarden Euro an. Für das Jahr 2020 prognostiziert der Handel eine weitere Steigerung auf mindestens 63 Milliarden Euro.
Der Handel funktioniert nur mit und nicht gegen das Internet
Der Einzelhandel steht vor der Herausforderung, eine stärkere Verzahnung zwischen stationärem Geschäft und dem Online-Handel vorzunehmen. Denn die meisten Kunden praktizieren heute einen „Multi-Channel-Handel": Sie kaufen sowohl lokal wie über das Internet ein. Diese Entwicklung hat auch der Online-Handel bereits aufgegriffen. Immer mehr Online-Händler eröffnen stationäre Ge-schäfte auch in den Innenstädten. Umgekehrt sind aber auch die stationären Händler herausgefordert, den Kunden ein digitales Angebot zu offerieren.
Auf diesem Weg werden die Strategien des Online-Handels und die Vorteile des stationären Handels sinnvoll miteinander kombiniert. Dies betrifft etwa den Umtausch, die Abholung und Belieferung von Waren und nicht zuletzt die Beratung der Kunden. Digitalisierung im Handel muss aber mehr bedeuten als die schlichte Eröffnung von Online-Shops. Es gilt für den stationären Einzelhandel, wie oft schon erfolgt, auch Anwendungen wie Innennavigation, digitale Produktinformationen oder mobile Bezahlsysteme vorzuhalten. Derartige Ansätze müssen handelsseitig ausgebaut und im Kundeninteresse fortentwickelt werden. Die Verschmelzung der Vertriebswege des Handels sowie die „Digitalisierung der Geschäfte“ ist daher die größte Serviceoffensive des Handels.
Innovationen wie Navigation in Geschäften oder mobile Bezahlsysteme setzen allerdings den Zugriff des Kunden auf das Internet voraus. Dies ist in der Regel nur über WLAN möglich. Ein offenes WLAN und ein flächendeckendes Breitbandnetz, gerade in Innenstädten, sind daher zu forcieren. Auf diesem Weg können nicht nur digitale Angebote des Handels, sondern auch der Verwaltung, des ÖPNV, der Gastronomie und sonstiger Dienstleister genutzt werden. Folge ist eine Attraktivitätssteigerung der Innenstädte.
Vernetzungen schaffen: Lokale Online-Marktplätze nutzen
Lokale Online-Marktplätze sind ein sinnvolles Instrument, damit der stationäre Einzelhandel Warensortimente im Internet präsentiert und - in der jeweiligen Region und darüber hinaus - auf sich aufmerksam macht. Erfahrungen zeigen, dass die Kunden solche Angebote annehmen und nach einer Produktsuche auf dem Online-Marktplatz ihre Waren und Dienstleistungen beim Händler „vor Ort“ einkaufen, einschließlich eigener Lieferservices der beteiligten Händler. Problematisch ist zum Teil die mangelnde Bekanntheit derartiger Portale. Daher ist eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit einschließlich geeigneter „Marketingkonzepte“ nötig.
Um den Aufwand für die Einstellung neuer Produkte auf eine Online-Plattform beziehungsweise ein Webkaufhaus zu reduzieren, empfiehlt sich handelsseitig die Anbindung von digitalen Warenwirtschaftssystemen. Nur so wird im Ergebnis die Teilnahme von Händlern an einer Online-Plattform attraktiv und vom Zeitaufwand realisierbar.
Service verbessern – Innenstadteinkauf als Erlebnis
Beim stationären Einkauf kann und muss der Handel seine Vorteile zukünftig voll ausspielen. Dazu gehören zum Beispiel die Schaffung einer „Wohlfühlatmosphäre" und das Ansprechen der emotionalen Seite der Kunden. Freundliche und kompetente Mitarbeiter, ein attraktiv aufbereitetes und präsentiertes Warensortiment, Kinderbetreuung in den Geschäften, integrierte Cafés oder Leseräume etc. können einen echten Mehrwert bringen. Der Einkauf in der eigenen Stadt muss zum Erlebnis werden.
Kooperationen stärken – Stadtmarketing forcieren
Eine aktive Zusammenarbeit der Händler untereinander sowie eine enge Abstimmung aller Innenstadtakteure (Städte, Handel, Stadtmarketing und Immobilieneigentümer) ist eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Innenstadt.
Insbesondere ein gutes Stadtmarketing erweist sich als hilfreiches Instrument, alle betroffenen Akteure im Sinne einer Verantwortungsgemeinschaft an einen Tisch zu bringen. Hierzu gehören auch gut vernetzte City-Manager, die insbesondere als „Kümmerer“ zwischen Handel, Immobilieneigentümern und der Wirtschaftsförderung für den Teilraum Innenstadt erfolgreich vermitteln und koordinieren.
Private Initiativen fördern
Bereits erfolgreich erprobte Instrumente wie Business Improvement Districts (BID) oder Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISG) als private Initiativen der Stadtentwicklung sollten zudem weiter ausgebaut werden.
Diese Instrumente können zur Aufwertung des städtebaulichen Umfelds, aber auch zum Ausbau der digitalen Infrastruktur in den Innenstädten beitragen. Wünschenswert wäre eine Vereinheitlichung der gesetzlichen Grundlagen, um noch stärker gegenseitig von den Erfahrungen zu profitieren.
Gleichzeitig sollten weitere freiwillige Maßnahmen des Handels, wie etwa gemeinsame „Service- und Standortoffensiven“ oder unter den Händlern abgestimmte Ladenöffnungszeiten, verstärkt genutzt werden. Ziel muss es sein, im Sinne des Satzes „Die (Innen-)Stadt, das sind wir alle“ gemeinsam für den „Standort Innenstadt“ zu werben, die Attraktivität zu erhöhen und die Kunden durch eine Verbesserung der Servicequalität langfristig zu binden.
Immobilieneigentümer in der Pflicht
Immobilieneigentümer haben in der Praxis einen maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der Innenstädte. Sie müssen ihrer Verantwortung gerecht werden und einen eigenen Beitrag zur erfolgreichen Bewältigung des strukturellen Wandels leisten. Eine einseitige Gewinnmaximierung durch überzogene Mietforderungen ist kontraproduktiv und nutzt niemandem. Sie führen zu Leerständen und in der Folge zu einer Abwärtsspirale ganzer Straßenzüge und Quartiere. Gerade im Zuge der Corona-Krise und damit verbundener Geschäftsschließungen kommt den Immobilieneigentümern eine besondere Verantwortung zu.
Wir brauchen daher eine Mietpartnerschaft zwischen Händlern und Immobilieneigentümern. Wirtschaftlich stabile Mieter sind auch im Interesse der Eigentümer und der gesamten Innenstadt.
Getreu dem Motto „Eigentum verpflichtet“ sind die Eigentümer von Handelsimmobilien aufgerufen, eine angemessene Mietpreispolitik zu betreiben und neue Formen, wie etwa frequenz- bzw. umsatzabhängige Mietenstaffelungen umzusetzen. Dies kann gerade den inhabergeführten und stationären Einzelhandel unterstützen und im Ergebnis zu einer Stabilisierung der Innenstädte beitragen. Unrentabel gewordene Verkaufsflächen können zudem durch Umnutzungskonzepte neu belebt werden, indem sie etwa Dienstleistungsunternehmen zur Verfügung gestellt werden, aber auch zu Wohnraum umfunktioniert werden.
Lebendige Innenstädte schaffen – Städtebauförderung stärken
Lebendige Innenstädte haben weit über die Versorgung hinaus zentrale Bedeutung. Für Bürger und Touristen haben Innenstädte einen hohen Identifikationswert. Sie sind Aufenthaltsmittelpunkt und bilden die „Visitenkarte" einer Stadt. Städte und Gemeinden sind daher in der Pflicht. Sie können ihrer Verantwortung zur Belebung der Innenstädte, insbesondere durch gestalterisch gelungene Einkaufsstraßen, durch Plätze mit hoher Aufenthaltsqualität, durch gute Wegebeziehungen zwischen den Einzelhandelslagen, durch einen gut ausgebauten ÖPNV, durch ein gutes Parkplatzangebot und nicht zuletzt durch die Gewährleistung von Sicherheit und Sauberkeit nach-kommen.
Eine dauerhafte und angemessene Städtebauförderung ist hierbei wesentliche Voraussetzung, um die Rahmenbedingungen für lebendige Innenstädte, sowohl in großen Städten als auch im ländlichen Raum, weiter zu verbessern. Die Mittel der Bundesstädtebauförderung müssen daher langfristig auf mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr festgesetzt und die Co-Finanzierung durch die Länder muss sichergestellt werden.
Nutzungsmischung
Vor allem Einkaufsstraßen und Plätze mit hoher Aufenthaltsqualität und Baukultur sind von großer Bedeutung. Ein ansprechendes Gastronomieangebot mit Außenbestuhlung im Frühjahr und Sommer gehören ebenso wie (Wochen-) Märkte mit dem Angebot regionaler Waren sowie kulturelle Veranstaltungen zur lebendigen Innenstadt dazu. Ergänzende Angebote, wie etwa Stadtführungen, können dazu beitragen, die Identifikation mit der Stadt oder Gemeinde zu erhöhen. Kommunen sollten auch Wert darauf legen, Spielplätze für Kinder sowie ausreichende Sitzgelegenheiten als Treffpunkte der Kommunikation in den Ortszentren vorzuhalten.
Baukultur schafft Lebensqualität
Eine qualitätsvolle Planungs- und Baukultur ist ein wichtiger Baustein für vitale Innenstädte. Eine gute Baukultur bringt nicht nur für die Bewohner einen Mehrwert. Im Ergebnis profitieren gerade die örtliche Wirtschaft und der Handel, auch durch höhere Touristenzahlen und steigende Kaufkraft.
Der Erhalt und die Schaffung einer guten Baukultur ist dabei eine Gemeinschaftsaufgabe der Kommunen, der örtlichen Wirtschaft und des Handels sowie der Architekten und der Immobilienwirtschaft. Städte und Gemeinden stehen als Planungsträger und Baugenehmigungsbehörden, als Gebäudebesitzer sowie als Vorbild für ihre Bürger hierbei in einer besonderen Verantwortung. Sie können durch die Durchführung von Planungs- und Gestaltungswettbewerben, durch die Einsetzung kommunaler Gestaltungsbeiräte sowie durch den Erlass und die Umsetzung von Erhaltungs-, Gestaltungs- und Denkmalschutzsatzungen gute Voraussetzungen für die Gewährleistung einer qualitätsvollen Baukultur schaffen.
Einzelhandels- und Zentrenkonzepte umsetzen
Für die Kommunen kommt hinzu, dass Maßnahmen zur Belebung der Innenstädte und Ortskerne in der Regel nur dann erfolgreich sind, wenn sie auf der Grundlage integrierter Einzelhandels- und Zentrenkonzepte abgestimmt und umgesetzt werden. Durch fundierte Konzepte kann der innerstädtische Einzelhandel rechtssicher, verlässlich und zielorientiert weiterentwickelt werden. Neben der Umsetzung der eigenen stadtplanerischen Zielvorstellungen wird auch den ortsansässigen Händlern sowie auswärtigen Investoren und Händlern Planungssicherheit für ihre Investitionen gegeben.
Interkommunale Kooperationen ausbauen
Die kommunale Steuerung des großflächigen Einzelhandels über § 11 Abs. 3 Baunutzugsverordnung (BauNVO) mit einer städtebaulichen Verträglichkeitsprüfung muss zudem konsequent angewendet werden. Nicht integrierte Handelsstandorte sind in der Tendenz innenstadtunverträglich. Sie müssen stets einer besonderen Einzelfallprüfung unterzogen werden. Insoweit kommt auch interkommunal abgestimmten Einzelhandelskonzepten eine wichtige Funktion zu. Nur durch verbindliche Spielregeln zur Ansiedlung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben auf integrierten Standorten kann ein Überhang an Verkaufsflächen und ein „Kannibalismus" sowohl innerhalb verschiedener Kommunen als auch innerhalb des Handels verhindert werden.
Masterplan Mobilität umsetzen – Lieferverkehre reduzieren
Angesichts der aktuellen Herausforderungen im Verkehrsbereich sind ein Masterplan Mobilität und eine Verkehrswende für unsere Städte und Gemeinden erforderlich. Diese Verkehrswende, die insbesondere auch eine Reduzierung der Stickoxidemissionen im Blick haben muss, sollte als Gemeinschaftsprojekt von Bund, Ländern, Kommunen, den Unternehmen der Mobilitätsbranche und auch dem Handel zügig umgesetzt werden.
Ein Masterplan „Verkehrswende“ muss insbesondere die Mobilität von Menschen und Gütern und damit auch die Lebendigkeit der Innenstädte gewährleisten. Erforderlich ist ein Bündel verschiedener Aktivitäten, unter anderem eine Stärkung des ÖPNV, die digitale Vernetzung der Verkehrsangebote, eine stärkere Förderung des Radverkehrs, ein vermehrtes Car-Sharing und eine an-wendungsorientierte Förderung der Elektromobilität bei Fahrzeugen mitsamt der Schaffung einer einheitlichen Ladeinfrastruktur.
Die für den Handel relevanten innerstädtischen Lieferverkehre müssen ebenfalls optimiert werden. Für die Belieferung der Innenstädte müssen möglichst emissionsarme Lösungen, wie zum Beispiel Sammeldepots für Paket- und Zustelldienste an verträglichen Standorten außerhalb der Innenstädte mit anschließender Anlieferung der Waren durch Elektrofahrzeuge oder Lastenfahrräder, gefunden werden. Kommunale Modellprojekte, zum Beispiel auch zum Thema Nachtlogistik, müssen durch Bund und Länder gefördert und eine Flexibilisierung der Lieferverkehre außerhalb der Hauptverkehrszeiten zur Entzerrung der Verkehrsspitzen forciert werden.
Informieren Sie sich über kommunale Themen auf der KOMMUNALE 2021 vom 20.–21. Oktober 2021 im Messezentrum Nürnberg.